Sind das Engelsflügel oder Lungenflügel? Es gibt Momente, da holt die Wirklichkeit die Kunst ein. Solch einen Moment kann jetzt jeder erleben, der die Heilig-Kreuz-Kirche im Münchner Stadtteil Giesing betritt, denn die Motive der Glasfenster im Chorraum der Kirche sehen nicht nur aus wie Lungenflügel – es handelt sich tatsächlich um solche.
Als im Oktober 2019 die Einweihung der neuen Kirchenfenster in der Heilig-Kreuz-Kirche stattfand, konnte noch niemand ahnen, welche Bedeutung das Thema Atem und Lunge schon ein halbes Jahr später durch die Covid-19-Pandemie erhalten sollte. Dennoch hatte der international agierende Künstler Christoph Brech nicht zufällig Lungenflügel zu seinem Motiv für die Kirchenfenster gewählt. „Der Mensch beginnt sein Leben mit dem ersten Atemzug und beendet es mit dem letzten“, erläutert Christoph Brech sein künstlerisches Konzept.
Brech hat die fünf Chor- und zwei Oratorienfenster der Kirche aus mehr als 1.000 Röntgen-Thoraxaufnahmen gestaltet. Hunderte von Lungenflügeln finden sich aneinandergereiht und machen die menschliche Anatomie auf ungewöhnliche Weise erfahrbar. Dem Betrachter wird klar: Jeder Mensch ist einzigartig und alles Äußerliche – ob Hautfarbe, Alter oder Körperbau – ist nicht mehr erkennbar und damit nicht mehr wichtig.
Auch die Kirchengemeinde wurde in das Projekt miteinbezogen, denn viele Gemeindemitglieder haben dafür eigene Röntgenaufnahmen zur Verfügung gestellt.
Die mit blauer Farbe auf hellblau gefärbtes Glas gedruckten und gebrannten Röntgenaufnahmen wirken schwebend, transparent und leicht und beflügeln im wahrsten Sinne des Wortes auch den Betrachter. Insgesamt wurden von der Münchner Gustav van Treeck Glaswerkstätte für die Fenster ca. 850 Quadratmeter mundgeblasenes Glas handwerklich bearbeitet. Eine Meisterleistung in jeglicher Hinsicht.
Unser Tipp: Hingehen und auf sich wirken lassen.